Maurice Halbwachs Bibliothek

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MAURICE HALBWACHS BIBLIOTHEK

2018

Team: Florian Gick und Leon Steffani

Auf einem Grundstück an der Herzbergstraße in Lichtenberg wird ein Kräftepaar aus einem öffentlichen urbanen Platz und einem geschützten Garten vorgeschlagen, dessen vermittelndes Element eine Bibliothek sein wird. Als 24-Stunden-Bibliothek wird diese mit einer bestimmten Konstellation aus räumlichen Identitäten die Gelegenheit zur Entfaltung eines sozialen und intellektuellen Treffpunkts ohne zeitlichen Rahmen geben.

Inhaltlicher Schwerpunkt des Bibliothek-Archivs soll die Erinnerungsforschung sein. Der Namensgeber der Bibliothek, Maurice Halbwachs, beschreibt in seinem Text Das kollektive Gedächtnis und der Raum das Verhältnis von Individuen, beziehungsweise einer Gruppe zu dem sie umgebenden Raum folgendermaßen: „Eine Gruppe, die in einem bestimmten räumlichen Bereich lebt, formt ihn nach ihrem eigenen Bild um; gleichzeitig aber beugt sie sich und passt sich denjenigen materiellen Dingen an, die ihr Widerstand leisten.” 1 Und an einer anderen Stelle: „So gibt es kein kollektives Gedächtnis, das sich nicht innerhalb eines räumlichen Rahmens bewegt. Der Raum indessen ist eine Realität, die andauert: unsere Eindrücke jagen einander, nichts bleibt in unserem Geist haften, und es wäre unverständlich, daß wir die Vergangenheit wiedererfassen können, wenn sie nicht tatsächlich durch das materielle Milieu aufbewahrt würde, das uns umgibt. Dem Raum, unserem Raum, in dem wir leben, den wir oft durchmessen, zu dem wir stets Zugang haben und den unsere Einbildungskraft oder unser Denken auf jeden Fall jederzeit zu rekonstruieren fähig ist, müssen wir unsere Aufmerksamkeit zuwenden; auf ihn muß unser Denken sich heften, wenn eine bestimmte Kategorie von Erinnerungen wieder auftauchen soll“ 2.

Diese Zitate motivieren dazu die Maurice Halbwachs Bibliothek als einen massiven Baukörper auszuführen, passend auch zu der Annahme, dass Lichtenbergs Industriegebiet entlang der Herzbergstraße ein Ort ist dem eine Vielzahl von temporären Phänomenen bevorsteht. Das planen einer Bibliothek in einem solchen Areal bietet die Gelegenheit zeitüberdauernde Strukturen und langfristig identitätsstiftende Objekte zu implantieren, dessen öffentliche Nutzung über mehrere Jahrzehnte hinweg garantiert werden kann.

Durch besondere Mischverhältnisse des Betons mit Zuschlägen von Marmorsand und Pigmenten lässt sich ein nahezu weißes Erscheinungsbild der Bibliothek erreichen, ohne dabei an der Fassade oder den Innenwänden die Haptik des schweren und widerstandsfähigen Betons zu verlieren. Der bestehende Turm wird weiß beschichtet. Aus seiner veralteten Rolle als medienübertragendes Stahlgerüst enthoben, bleibt der Turm als skulpturales Element auf dem Vorplatz der Bibliothek erhalten und verortet die Bibliothek in dem Gesamtgefüge Lichtenbergs. Der Bodenbelag des Vorplatzes ist Gussasphalt. Dieses schwarze Material stellt einen starken Kontrast zu dem Gebäude und dem Turm dar und stärkt ihre objekthafte und vom Kontext auf lange Sicht formell losgelöste Erscheinung. Zu diesem Zweck besetzt der Gussasphalt das gesamte Grundstück außerhalb der Gartenmauer. Um die offene Fläche, die durch den stark von der Grundstücksgrenze zurückgesetzten Baukörper entsteht, räumlich zu definieren, befinden sich sowohl auf der Südseite als auch auf der Nordseite kleinere weiße Objekte in der Nähe der Grundstücksgrenze.

1,2 Halbwachs, Maurice (1985): Das kollektive Gedächtnis und der Raum, in: Ders.: Das kollektive Gedächtnis, Frankfurt am Main, S. 127ff